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Biel - Die Nacht der Nächte

Ich hatte mich richtig auf Biel gefreut. Das 100 km keine Zuckerschlecken sind, war mir von Anfang an klar. Das es aber so hammerhart werden würde, daran habe ich nie gedacht. Leider traf die Wetterprognose ein. Regen und nicht nur ein bisschen. Ich hatte ja keine Ahnung was bei 100 Km auf mich zukommt. Vor der Nacht hatte ich keine Sorgen, vor allem freute ich mich darauf, in den neuen Tag zu laufen.
Das ich langsam laufen würde war sowieso klar. Mein Ziel war schließlich Biel. Also ankommen und das Finishershirt abholen. Komisch, obwohl ich so viele Laufshirts habe, ein Shirt, dass es erst im Ziel gibt, hat seinen besonderen Reiz. Das ist dann ja wirklich hart erlaufen. Hier in Biel sollte es ein echter Lohn für die Strapazen werden.

Ich hatte mir das Rennen in vier Abschnitte eingeteilt. Km 25 wollte ich nach 3 bis 3 1/2 h erreicht haben. Am berüchtigten Ho-Chi-Minh-Pfad wollte ich gegen 4 Uhr sein, also wenn es schon langsam wieder hell wird. Und den Rest ... ich wusste, dass es bei Km 78 noch mal bergauf geht. Also vorher Kräfte sammeln und dann läuft es eh nach Biel rein. Das Ziel war Biel. So war der Plan.


Bis Km 25 lief es richtig gut. Nach 2:47 h war ich dort. Nach einer kurzen Trink- und Esspause ging es dann auch gleich weiter. Ich lief wie ein Uhrwerk. Nicht schnell, aber gleichmäßig. Bis Km 37.
Was dann geschah, weiß ich nicht. Aber da ging auf einmal nichts mehr. So bin ich dann die nächsten 5 Kilometer in flottem Tempo gegangen. Da es leicht bergauf ging und ein Feldweg mehr Matsch als Weg war, war das nicht weiter schlimm. Mit der Marathondistanz konnte ich dann auch wieder laufen, allerdings nicht mehr so rund wie vorher. Aber egal. Der Weg war das Ziel, das Ziel war Biel. Ich wusste gar nicht, das 5 Kilometer so lang sein können. Schlimm ist allerdings, wenn man für einen Teilabschnitt falsche Kilometerangaben im Kopf hat. So war ich der Meinung, dass der Ho-Chi-Minh-Pfad nach 50 km kommt. Weit gefehlt!


Km 56, Zwischenzeit, 7:01 h. Nun gut, bei einem persönlichen Zeitlimit von 15 h konnte ich rein theoretisch die restlichen 44 Km gehen und hätte noch 8 h Zeit. So was macht mental stark.
Doch jetzt war er da, der Pfad der Pfade. Alle hatten mich vor ihm gewarnt. "Das schlimmste Stück der Strecke" hörte ich noch kurz vor dem Loslaufen. Ich habe diesen Weg am Emmendamm entlang nicht so empfunden. Er war steinig, ok, aber flach, rechts ein Fluss, links Felder und Wiesen. Die Vögel zwitscherten, ich konnte ihn gut laufen und habe es genossen. Ich persönlich empfand die wurzeligen Wege am Rennsteig schlimmer. Nach 10 Km kamen wieder Schotterwege und Asphalt.
Langsam wurde es mir aber kalt. Egal, das Ziel war Biel. Gehen, laufen, kämpfen, Schmerzen. So ging es weiter.
Endlich Km 75. Soweit war ich noch nie während eines Wettkampfes gelaufen. Nur noch 25 Km, ich schaff dass. Mittlerweile schmerzten die Achillessehnen und beide Knie. 500 m laufen, 1 Km gehen - das Ziel war Biel.





Da war zum ersten Mal der Gedanke: "Nie wieder 100 km!" Der Rennsteig steckte einfach immer noch in den Knochen. Endlich war der letzte Anstieg in Sicht. Na gut, danach war immer noch ein Halbmarathon zu laufen.

Berg runter, Km 80, Km 85, "nur" noch 15 Km.
Der Regen wurde wieder stärker. Km 90, juhu, bald ist es einstellig. Und endlich kam das lang ersehnte 95 Km Schild. Ich hatte Tränen in den Augen und Gänsehaut. Fast geschafft, soweit bist du schon. Ab jetzt war jeder Kilometer angeschrieben. Und dann ging auch das Laufen wieder. Langsam, aber es ging. Endlich, endlich, der heißersehnte Kilometer 99. Ich glaub, da hat fast jeder ein Bild gemacht. Ich war stehend K.o., aber glücklich. Das Ziel konnte ich auch schon hören. Die letzten 500 m bin ich wie auf Wolken gelaufen. Mir war kalt, ich war klatschnass, müde, glücklich, hatte Tränen in den Augen und Gänsehaut. Nicht von der Kälte! Ich hatte es geschafft.
Vor 12 Uhr, kürzer als 15 h. 13:46h!!
Das Ziel in Biel!!



Eine Zeit, die unterwegs unrealistisch erschien. Ich hätte die ganze Welt umarmen können, wenn ich meine Arme noch hätte bewegen können. Mir tat alles weh, aber ich war glücklich. So stolz habe ich schon lange keine Medaille mehr in Empfang genommen. Und dann erst das Finishershirt. Das war hart erarbeitet.
Herrlich war die warme Dusche danach, wenn auch das Ambiente nicht so toll war. Durch den Abriss des Eisstadions, wo sich früher alles abgespielt hatte, war ein Zelt als Notquartier aufgebaut, Duschen im Container. Wenn die Sonne scheint, wahrscheinlich irrsinnig heiß, so aber halt wahnsinnig kalt und matschig. Daran soll die Veranstaltung aber nicht schlecht gemacht werden. Für das Wetter kann schließlich der Veranstalter nichts. Es war gut organisiert, vom Startunterlagen abholen bis zur Massage. Die Strecke war gut ausgeschildert, die Versorgungstationen gut und reichlich bestückt. Die Helfer sehr nett. Und die Zuschauer erst. Trotz Regen, Kälte und Nacht. Beim Start und den ersten Kilometern durch Biel war Superstimmung und auch unterwegs waren immer Leute, die angefeuert haben. Selbst morgens um 5 Uhr, in irgendeinem Dorf. Da wurde die Disco einfach nach draußen verlegt. Das hatte was. Und dann die nette Frau mit ihrem Kilometerplakat. Immer wenn ich sie gesehen habe, waren es weniger Kilometer. Beim letzten Treffen musste ich dann doch noch schnell ein Foto machen lassen.


Heute, vier Tage nach dem Lauf, bin ich erstaunt, dass mir nichts wehtut. Selbst 14 Stunden nasse Füße haben keine Blasen hinterlassen. Und ich dachte, dass ich mich nach 100 Km erstmal eine Woche gar nicht mehr bewegen kann vor Schmerzen. Körperlich müde bin ich und essen könnte ich den ganzen Tag, das ist aber auch alles.
Ach ja, beinahe hätte ich es vergessen. Die 100 Km geistern schon wieder in meinem Kopf. Die Zeit scheint verbesserungsfähig! Nur beim nächsten Mal werde ich wohl keinen Rennsteig oder sonstigen Ultra vier Wochen vorher laufen. Dann klappt es vielleicht schneller.

Kommentare

Jörg hat gesagt…
Herzlichen Glückwunsch noch mal. Es ist schon eine tolle Leistung, vor allem bei diesen schrecklichen Bedingungen. Manches habe ich letztes Jahr ähnlich empfunden. Auch ich war bei km 37 platt, auch den Emmendamm empfand ich eher schön zu laufen und diese Wechsel zwischen Wandern und Laufen habe ich auch hinreichend geübt.
Erhole dich gut - hast das shirt inzwischen schon mal ausgezogen?
Jörg
Ramona hat gesagt…
Herzlichen Glückwunsch, liebe Kerstin! Bei dem Wetter die 100 km laufen ist eine besondere Leistung! Ich war auch schon in Biel, aber bei wesentlich besserem Wetter! Heißt, ich hatte es viel leichter als du.
Meine Hochachtung und größten Respekt!
Erhol dich gut!
Viele liebe Grüße
Ramona
Inga hat gesagt…
Hallo Kerstin!
Du schreibst mir aus der Seele...!
War schön, das wir uns getroffen haben und wenn ich auch immernoch mit meiner Blase kämpfe; so überlege ich auch schon wieder, wo der nächste "Hunderter" sein wird...! Ich höre uns aber auch noch beide sagen; das war es mit meiner "Hunderter-Karriere"...!So schnell gehts!!!!
Übrigens hatte ich das hart erkämpfte T-Shirt heute morgen zum Laufen an und habe es dan "extra" nur per Hand ausgewaschen vor lauter Angst es könnte in der Waschmaschine kaputt gehen und tatsächlich ist die Schrift verlaufen...! Da flossen dann tatsächlich fast die Tränen bei mir!
Ich grüß dich ganz herzlich!
Inga

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